Wie lebt es sich als Jüdin in Deutschland? Welche Erfahrungen machen Juden mit Antisemitismus? ZEIT ONLINE hat Sie gebeten, Ihre Eindrücke und Erlebnisse zu schildern. Aus den Einsendungen sind vier Protokolle entstanden, die einen Einblick in die Alltagserfahrung jüdischer Menschen geben.
"Der deutsche Fokus auf die toten Juden ärgert mich ungemein"
Daniel Meyer*, 27, Student in einer niedersächsischen Großstadt, möchte langfristig nach Israel auswandern. Er fühlt sich in Deutschland zum einen durch islamische Antisemiten bedroht – kritisiert aber auch eine Erinnerungskultur, die sich nur für die historische und nicht für die gegenwärtige Judenfeindlichkeit interessiere.
Ich bin fest davon überzeugt, dass ich nicht mehr am Leben wäre, wenn man mir auf den ersten Blick ansehen würde, dass ich Jude bin. Dass ich einer Gefahr ausgesetzt bin, wurde mir deutlich, als ich eine Zeit lang den Davidstern um den Hals getragen habe: Einmal schlugen mir im Bus zwei arabisch sprechende Männer von hinten ins Gesicht. Sie rannten sofort aus der Tür heraus und spuckten von außen ans Fenster. Niemand von den zahlreichen übrigen Fahrgästen reagierte. Einige Monate später lief ich mit einem Freund an einer arabischen "Friedensdemo" vorbei. Einige Teilnehmer sahen meine Halskette und rannten mit erhobenen Fäusten auf uns zu. Die Polizei kam schließlich dazu – aber nur, um uns darum zu bitten, die Demo schnellstmöglich zu verlassen. Das war 2006. Ich war 16 Jahre alt und plötzlich im Zentrum meiner Heimatstadt nicht mehr sicher.
Die jüdische Mehrheit bleibt unsichtbar
Mittelfristig möchte ich Deutschland verlassen und nach Israel auswandern. Ich denke, dass es den meisten Juden so geht: Die Idee ist da, vielleicht nicht als dringlicher Wunsch oder konkreter Plan, aber als ein Gedanke, der immer mal wieder kommt. Einerseits ist diese Möglichkeit beruhigend. Andererseits: Ich lebe ja hier, ich will hier nicht weg.
Aber allein die Tatsache, dass ich diesen Text anonym veröffentliche, spricht für sich. In der Antisemitismusdebatte trauen sich Betroffene nur äußerst selten, in die Öffentlichkeit zu treten. Zwar gibt es die Vertreter der jüdischen Gemeinden und Organisationen, deren Beruf es ist, öffentlich präsent zu sein. Aber die jüdische Mehrheit bleibt unsichtbar, was ich als symptomatisch für die Debatte betrachte: Sie wird über Juden, aber nicht mit Juden geführt.
Dabei dürfen wir die Berichterstattung nicht denen überlassen, die jetzt so tun, als sei Antisemitismus ein neues, importiertes Phänomen. In meiner Wahrnehmung ist das mitnichten der Fall: In den Neunzigerjahren habe ich antisemitische Ressentiments als Kind erlebt, in den Nullerjahren als Jugendlicher, jetzt erlebe ich sie in neuen Ausprägungen als Erwachsener.
Was mich sehr verärgert, ist die scheinheilige Erinnerungskultur in Deutschland: Das Schuldbewusstsein für den Nationalsozialismus ist sehr ausgeprägt. Mahnmäler werden gebaut, Reden werden gehalten, das Yad Vashem steht bei jedem Israelbesuch der Regierung auf der Agenda. Gleichzeitig müssen jüdische Gemeinden, Kindergärten und Grundschulen mit Stacheldrahtzäunen, mit Nachtsichtkameras und Sensoren geschützt werden. Die Notwendigkeit, Juden zu beschützen, besteht. Und sie wird ignoriert. So ärgert mich der deutsche Fokus auf die toten Juden ungemein. Die lebenden Juden werden dabei außer Acht gelassen.
Der Kampf gegen Antisemitismus ist mehr als eine schöne Rede vor eingeschalteten Kameras.
Die Einweihung eines Mahnmals stellt den Weg des geringsten Widerstands dar, denn damit sind alle einverstanden: die Islamverbände ebenso wie die AfD, bis auf Björn Höcke. Durch solch eine Symbolpolitik lässt sich ein Engagement gegen den Antisemitismus leicht heucheln, aber es handelt sich dabei letztlich nur um eine Maskerade, die darüber hinwegtäuschen soll, dass man die wahren antisemitischen Strukturen nicht angreift. Das wäre unbequem, würde Geld kosten, damit kann man nicht glänzen. Der Kampf gegen Antisemitismus ist mehr als eine schöne Rede von Politikern vor eingeschalteten Kameras.
Ebenso ärgert mich die Vereinnahmung durch die AfD, die deutsche Juden benutzt, um als Retterin einer unterdrückten Minderheit dazustehen. Ich verwehre mich ausdrücklich gegen jegliche Instrumentalisierung durch diese Partei. Ich bin mir sicher, dass in den Köpfen der meisten Mitglieder eine Liste existiert, auf der die Feinde priorisiert sind. Die Juden stehen da zwar nicht an erster, aber vielleicht an zweiter oder dritter Stelle, und es ist eine Heuchelei, diese ersten Plätze gegeneinander ausspielen zu wollen.
Kommentare
"Die Kriminalstatistiken zeigen zwar, dass die meisten Straftaten von rechts ausgehen. Die RIAS aber, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, beispielsweise hat in einer Umfrage nach antisemitischen Erlebnissen gefragt: Da ging die Mehrheit der Fälle nicht von Rechtsextremen aus, sondern von Leuten, die eine Solidarität mit Palästina demonstrieren wollten, oder von diesen arabisch-muslimischen Subkulturen."
Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Warum sagen die offiziellen Kriminalstatistiken etwas anderes als die Opfer selber?
Haben die Statistiker Druck zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen oder sind die Erhebungsmethoden falsch?
FAlls (!) ich es richtig weiß, werden alle antisemitischen Taten der "rechten" Szene zugerechnet, also auch die Taten von Muslimen.
Entfernt. Bitte Belegen Sie Ihre Behauptungen. Danke, die Redaktion/mk
Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
Vier bewegende und erschreckende Protokolle. Es ist beschämend, dass Juden im Deutschland des Jahres 2018 sowas erleben müssen.
Erstaunlich auch das enorm breite Spektrum, aus dem die antisemitischen Angriffe und Anfeindungen kommen. Selbst Punks sind dabei.
Rot Klettverschluss Schuhe Gepolstert FANTASIA Damen Komfort Damen Lässig Rücken Leder Ich hoffe, die übrigen Foristen verzichten darauf, diese vier sehr persönlichen Protokolle zum Anlass zu nehmen, hier ihre "Israelkritik" zu hinterlassen.
Es trifft nicht nur auf die Juden in Deutschland zu. Viele Juden in Europa denken darüber nach, Europa hinter sich zu lassen. In meiner Familie haben sich auch schon ein paar in den USA oder Israel abgesetzt. Vor allem jene, die kleine Kinder haben. (Noch bin ich ohne Kinder) Deutschland zumindest werde ich nach meinem Gaststudium auch wieder verlassen. Im Großen und Ganzen empfinde ich das Leben als Jüdin in Deutschland nicht gerade als problemlos. Und weshalb sollte man sich so etwas antun, in einer brenzligen Situation zu verharren? Die Stimmung in Deutschland gegenüber Juden ist nicht gerade einladend. Man gedenkt zwar den ermordeten Juden, aber man lässt die wenigen hier noch lebenden Juden einfach in Stich. Wer eine so winzige Minderheit nicht schützen kann, wird wohl für Juden kein lebenswerter Hafen sein können.
Ich bin nun fast zwei Jahre in Deutschland, aber mein Ziel ist letztendlich New York, da dort auch schon einige Verwandte und Freunde wohnen. New York deshalb, weil es dort noch sehr viel europäische Kultur zu leben gibt. So ganz möchte man ja seine gewohnte kulturelle Verbundenheit nicht ablegen. Eigentlich ist das eine traurige Sache, dass man 70 Jahre nach dem Holocaust als Jude wieder auf gepackten Koffern sitzt.
Wird Deutschland antisemitischer?
Damen Komfort Lässig Klettverschluss Gepolstert FANTASIA Schuhe Leder Rücken Rot Damen Ja, das ist leider so.
Ihre Erkenntnis ist nicht haltbar. Es gibt keine Zahlen, die eine Steigerung des Antisemitismus in Deutschland belegen. Aber es gibt viel Emotion.